Von Vergangenheit überwältigt

’45
Vorher / Nachher

Funktioniert hat es schon in der DDR nicht. Auch drüben haben die kleinen Strolche der Republik gerne an die großen Verbrechen der Vergangenheit erinnert, um sich als das kleinere Übel zu empfehlen. Mit den 68ern verkam dann auch im Westen die Vergangenheitsbewältigung zur Lachnummer. Morgens nervte man noch den Vater mit der Frage, warum er zum Judenmord geschwiegen hatte, um abends eine Veranstaltung zu besuchen, die unter dem am Nachmittag selbst gepinselten Motto stattfand: „Macht den nahen Osten rot, schlagt die Zionisten tot!“

Und von dieser Riege selbsternannter moralischer Herrenmenschen werden seither die Deutschen, ohnehin das mit Abstand best belogenste Volk der Welt, unter Dauerverdacht gestellt, unverbesserliche Faschisten zu sein. Zu den Kernkompetenzen dieses Nebenerwerbs -Antifaschismus gehören: Unterstellung, Verdächtigung, Verleumdung und Erpressung. Wer ihren Aktionen die finanzielle Unterstützung versagt, wird sofort unter Faschismusverdacht gestellt. Gesinnung als Einnahmequelle, als Herrschaftsinstrument und Beruf. Der deutscheste aller Träume.

Dass Leute bei so ziemlich jeder Schweinerei, die Ihnen Vorteile bringt, mitmachen, bei jeder Hetze, bei jeder Intrige vorne mit dabei sind oder sich wenigstens pfiffig zu arrangieren wissen, das ist nichts neues. Neu ist, dass dieses Pack sich jetzt hin und wieder entsetzt zu Wort meldet, um seine Fassungslosigkeit darüber zum Ausdruck zu bringen, dass das auch früher schon so war. Je gekonnter man sich im Unrecht seiner Zeit einrichtet, desto größer wird offensichtlich das Bedürfnis sich wenigstens von vergangenem Unrecht zu distanzieren. Mit der zeitlichen Distanz steigt dann auch der Mut.

Die Ambitioniertheit, mit der man die Schmach von Versailles tilgen wollte, unterscheidet sich in Nichts von dem Ehrgeiz, der jetzt die Schande von Auschwitz bewältigen will. Nur ist ihnen ihr Rassismus neuerdings ins antideutsche verrutscht. Waren es damals die Juden, denen alle Übel der Welt in die Schuhe geschoben wurde, so sind es heute die Deutschen, die von der Pleite Griechenlands bis zur Misere osteuropäischer Flüchtlinge für alles verantwortlich gemacht werden. Diese Antideutschtümelei gibt sich mal als erinnerungssüchtige Vergangenheitsfixierung, mal als fremdenfreundliche Migrationseligkeit. Sie ist nichts anderes als ein weiterer, dummer und feiger Rassismus.

Selbst die Volksvertreter verstehen sich bei uns nicht etwa als gewählte Interessenvertreter des Volks sondern -wie die Parteischranzen in den angeschlossenen Rundfunkanstalten- eher als bestallte Vormünder. Allerdings macht schon der Eifer, mit dem der öffentlich unrechtliche Mikrofonhalter jetzt dem neugewählten DVU Abgeordneten ganz öffentlich das Wort abschneidet, noch bevor der sich mit seinen Antworten selbst desavouiert, schlagartig klar, wem er das Mikrofon entreißen wird, wenn die DVU 40% der Stimmen hat. Anders als von den selbsternannten Vormündern propagiert, ist der Faschismus nicht eine Gefahr für die Demokratie, die in diesem Land vom rechten Rand der Gesellschaft ausgeht, sondern er ist schon lange die Realität, die von diesen Fabeldemokraten tagtäglich neu in Szene gesetzt wird. Wenn Eva Herrmann aus einer Talkshow geworfen wird oder Parteibonzen ganz ungeniert Zensur im öffentlich rechtlichen Rundfunk ausüben, dann ist das bereits im Vollbild der Faschismus, vor dem man so gerne warnt, an den man so häufig erinnert, den man aber offensichtlich am liebsten selbst praktiziert. Parteien, deren politische Meinungsbildung wesentlich über Erpressung, Drohung, Verleumdung und über schwarze Kassen organisiert wird, sollten aufhören, sich als Hüter einer Demokratie aufzuspielen, deren Totengräber sie in Wahrheit sind. Der politische Abschaum dieser Republik organisiert sich eben nicht ausschließlich in der NPD. Um Zustände zu haben, wie sie in weiten Teilen dieser Republik herrschen, hätte man den zweiten Weltkrieg wirklich nicht verlieren müssen. In Köln werden die Schuldirektorenposten zwischen SPD und CDU im Verhältnis 3:2 vergeben. Mussten vor ’45 alle Bewerber Mitglied der NSDAP sein, so müssen sich die Bewerber heute erst telefonisch erkundigen, in welche Partei sie denn eintreten müssen, um überhaupt eine Chance zu haben. Was für ein Fortschritt!

Das angebliche Entsetzen darüber, dass die Nazis ganze Bevölkerungsgruppen von bestimmten Berufen ausgeschlossen haben, hat in der Bundesrepublik noch kein Schwein davon abgehalten, Stellenbesetzungen so zu manipulieren, dass nur der eigene Verein versorgt wird.

Dass in unseren Verfassungsschutzberichten soviel von ‚verfassungsfeindlichen

Zielen‘ und so wenig von ‚verfassungsfeindlichen Methoden‘ die Rede ist, sagt viel über die Interessen der Auftraggeber solcher Berichte und sehr wenig über den Zustand unserer Gesellschaft. Denn als faschistisch haben die Methoden zu gelten, die jemand tatsächlich anwendet, und nicht die Ziele, die jemand angeblich verfolgt. Zu Zeiten als Schumacher von „rot lackierten Faschisten“ sprach, wusste man das offensichtlich noch.

Jetzt wird von Sozialdemokraten laut und unwidersprochen im Kreis der Genossen verkündet, ,,dass man den und den da oder da verrecken lassen will“. Und ein frei gewählter Abgeordneter des deutschen Volkes muss sich von so einer CDU-Schranze anschnauzen lassen, „man könne seine Fresse nicht mehr sehen und seine Scheiße nicht mehr hören.“ Stammten diese Äußerungen von NPD-Mitgliedern, würden sie umgehend Teil eines erneuten Verbotsantrags.

Vor ’45 wurden in Deutschland eine Menge Bücher gegen die Juden geschrieben, nach ’45 wurden eine Menge Bücher gegen diese Bücher geschrieben. Man ahnt: Nicht die Menschen haben sich geändert, sondern die Vergaberichtlinien für Druckkostenzuschüsse. Der alten Übung karrieregeiler Charakterlosigkeit, sich pfiffig noch schnell die richtige Gesinnung zu bescheinigen, indem man andere verdächtigt, die falsche zu haben, verdanken wir das dauernde Aufspüren von Antisemiten in der Gegenwart und die Enttarnung immer neuer Juden in der Vergangenheit. Vor ’45 wurde der Dichter Gottfried Benn in einer beispielhaften Hetzkampagne, angefacht durch einen Artikel im SS Blatt „Schwarze Korps“, unter Verdacht gestellt, Jude zu sein. Nach ’45 wurde der Dichter Martin Walser in einer Hetzkampagne, die von einem FAZ-Artikel in Gang gebracht wurde, unter Verdacht gestellt, Antisemit zu sein. Nichts lehrt uns das über die beiden Dichter. (Weder war Benn Jude, noch ist Walser Antisemit.) Aber alles lehrt uns das über die immer gleichen Methoden der Verleumdung, der Ausgrenzung und der Zensur, die ja nicht weniger faschistisch sind, weil sie neuerdings von irgendwelchen Fabeldemokraten praktiziert werden.

Triumphierend präsentiert die Forschung neuerdings drei Stellen aus Heideggers nachgelassenen Schriften, die erstmalig beweisen sollen, dass er Antisemit gewesen sei. Sie bleiben allerdings die Erklärung dafür schuldig, warum Heidegger zu seiner Zeit nicht ähnlich eifrig bemüht gewesen sein sollte, seine karrierefördernde Einstellung öffentlich zu dokumentieren, wie sie jetzt ihre.

Die Methoden mit denen man bei uns die Vergangenheit bewältigt, sind von den Methoden der Vergangenheit kaum mehr zu unterscheiden.

(Nichts aber auch gar nichts an der Rede des ehemaligen Bundestagspräsidenten Jenninger war nationalsozialistisch -oder auch nur missverständlich. Aber alles, wirklich alles, was da an Verleumdung, Verdrehungen, Verdächtigungen und Häme öffentlich-widerrechtlich ausgegossen wurde, war faschistisch, durch und durch faschistisch. Und Nichts, aber auch gar nichts an dem inkriminierten ‚Flyer‘ von Jürgen Möllemann war antisemitisch. Aber alles, wirklich alles, was da an halbamtlichen und beflissenen Ratschlägen über die öffentlich-rechtlosen Fernsehanstalten verbreitet wurde, wie man sich denn nun am besten dieses frei gewählten Abgeordneten zu entledigen habe, das war faschistisch, durch und durch. (Der sich damals arg diskriminiert gefühlt habende Vertreter der deutschen Juden, lässt sich mittlerweile beim freundlichen Gedankenaustausch vom NPD-Mitglied Mahler mit einem jovialen „Heil Hitler, Herr Friedmann, begrüßen)

Bei dem armen Herrn Hohmann dagegen hat es schon gereicht, dass man eine Nähe seiner Ausführungen zu Gedankengängen von Goebbels unterstellt hat. Da hat Herr Hohmann einfach Pech gehabt. Den strammen Antikommunisten in der CDU-Führung hat es jedenfalls nie geschadet, dass auch Herr Goebbels einer war.

In einer Fernsehdiskussion mit dem Vorsitzenden der AfD zitiert so eine gesinnungsstarke Charakterlosigkeit statt des Textes, den er angreifen wollte, doch lieber gleich das gesunde Volksempfinden, das sich bei der Lektüre in ihm geregt hat, und wird bei dieser Übung in Goebbelscher Hermeneutik auch noch von so einer faschistischen Flachpfeife unterstützt, die tatsächlich erklärt, dass sie korrektes Zitieren für überflüssigen bürgerlich-akademischen Kram hält.

In der fürsorglich auftrumpfenden Tabuisierung der von den Nazis missbrauchten Worte sowie in der Kreation immer neuer Vokabeln für die Judenvernichtung zeigt sich die ganze Kraftlosigkeit der Fabeldemokraten zur demokratischen Umdeutung dieser Begriffe. So erzielt man keinen Regimewechsel im Sprachgebrauch, sondern schafft diskontinuierliche semantische Parallelwelten zur gefälligen Bedienung auch durch Neonazis.

Eva Herrmann, die anders als der Führer ein Kind hat, durfte sich von zahlreichen kinderlosen Kritikerinnen, unterstellen lassen, sie sei eine Faschistin, weil sie einen Ausdruck gebraucht hatte, den auch schon Nazi-Chefideologe Rosenberg benutzte. Ihr kluger Einwand, das mache sie so wenig zur Nationalsozialistin wie die Benutzung der von den Nazis gebauten Autobahnen, hatte ihren unmittelbaren Rausschmiss aus der Fernsehsendung durch Johannes B. Kerner zur Folge. Dieser Rausschmiss vor laufenden Kameras hatte wie die Befragung Frau Herrmanns durch Kerner durchaus Freisler-Qualitäten. In der Befragung sollte Frau Herrmann mit ihrem Widerruf das Bekenntnis abgepresst werden, ein früheren Statement von ihr sei zumindest missverständlich gewesen. Frau Herrmann zeigte in dieser Situation Intelligenz und Charakter, zwei Eigenschaften, die dann auch der eigentlichen Grund für ihrer Entlassung aus den Diensten des NDR gewesen sein dürften.

In jeder Sendung dieser öffentlichen Anstalten wurde es anschließend zur Pflicht über Frau Herrmann herzuziehen. Keine Kritik, kein Abwägen, nur karrierefördernde Häme. Da wird eine Frau nach jahrzehnten vom ihrem Arbeitgeber entlassen, ihre berufliche Existenz wird vernichtet. Eine Frau, die sich nachweislich gegen Rechtsextremismus engagiert hat, wird als Faschistin gebranntmarkt und als Eva Braun verhöhnt. Und alle, wirklich alle sorgen sich nur darum, ob die Herren Plog und Herres auch zuschauen, wenn man nachtritt.

Das ist der urfaschistische Affekt in Deutschland: wenn sich eine große und mächtige Organisation daran macht, einen einzelnen zu vernichten, dann stellen sich sofort Zehntausende schützend -vor die große Organisation. In Zeiten von Diktaturen tun sie das aus Angst und schämen sich vielleicht hinterher. In Zeiten der Demokratie machen sie das aus Berechnung und finden sich einfach smart dabei. So machte und macht man Karriere. Auch der karrierefördernde Eifer, mit dem die schäbigen kleinen Spießer vor ’45 Juden umbrachten, speiste sich aus dem Verlangen, der herrschenden Tendenz zu genügen. Ohne jede Leidenschaft und gewissenlos: die reflexartige Wiedergabe des objektiven Zugs der Zeit. Dazu war wirklich kein ‚eliminatorischer Antisemitismus’ nötig. Die Judenvernichtung begann, als das Deutsche Reich Leute dafür bezahlte, Juden umzubringen. Die Judenvernichtung hörte auf, als das Deutsche Reich seine Zahlungen einstellte.

„Der Nationalsozialismus lebt heute ja wohl überhaupt weniger darin nach, dass man noch an seine Doktrinen glaubte – wieweit das überhaupt je der Fall war, ist fraglich – als in bestimmten formalen Beschaffenheiten des Denkens. Zu ihnen rechnet beflissene Anpassung ans je Geltende, … zwanghafter Konventionalismus, Glaube an Bestehendes um jeden Preis.“(Adorno, Eingriffe)

Immer wenn dieser „Glaube an Bestehendes“ den Staat zum Tendenzbetrieb macht, indem er eine bestimmte Gesinnung verordnet, schlägt die Stunde der Heuchler. Tendenzbetriebe sind die Tanzschulen des Faschismus. Alimentierte Tendenzbetriebe hören schlagartig auf nur Tanzschulen zu sein.

Kategorien der Aufklärung wie Arendts „Banalität des Bösen“ haben da schon lange keine Chance mehr, obwohl sie sich trefflich illustrieren ließen. Etwa am Beispiel eines Sudetendeutschen, der seinen jüdischen Nachbarn denunziert, ohne dabei den Hinweis zu vergessen, dass man sich doch bitte, falls das Haus des Nachbarn zum Verkauf stünde, daran erinnern möge, dass er seit Jahren ein treuer Parteigenosse sei. Solche Beispiele werden in der Bundesrepublik aber kaum gehandelt. Schon gar nicht von Parteigängern, die im Zweifelsfall gerade selbst mit Hinweis auf ihre langjährige Parteimitgliedschaft Anspruch auf einen Posten, einen Titel oder sonst eine Vergünstigung angemeldet haben. Statt Aufklärung wird bei uns die immer gleiche Beschwörung der Unfassbarkeit des Grauens und des schlechthin Bösen zelebriert. So wurde aus der Vergangenheitsbewältigung ein pseudoreligiöser Quatsch inklusive Schuldbekenntnis, Sühnehandlung und zentraler Kultstätte, mit wechselnden Hohepriesterinnen und Hohepriestern. Ein Fall für den Sektenbeauftragten der Bundesregierung.

Aber eben auch ein Machtinstrument. In Parteien und Medien wimmelt es von Faschisten, die ihren jetzigen Machtmissbrauch dadurch legitimieren, dass sie sich entsetzt von jedem früheren Machtmissbrauch distanzieren. Das hat man den verkommenen linken Greisen abgelernt, die sich unter Beschwörung der deutschen Vergangenheit auch 1990 noch mit immer neuen Sühnevorschlägen gegen die deutsche Einheit zu Wort meldeten, ohne allerdings von ihrer eigenen NSDAP- und SS- Vergangenheit zu reden. „Links sein heißt, kein Gewissen haben, sondern eins sein…für andere“ (O.Marquard).

Schon das ehemalige NSDAP- und SS- Mitglied Fritz Fischer fand es als Historiker sehr viel bequemer über die Hauptschuld der Deutschen am ersten Weltkrieg zu räsonieren, als über die eigene am zweiten.

Zu Zehntausenden hocken sie da: die Hofschranzen der Demokratie, die Marinellis und Würmer der Republik. Ein Gesindel, das seine Loyalität zu jedem karrierefördernden Drecksverein wieder über alle Gesetz und jede Moral stellt. Ganz öffentlich und ungeniert wird von den Fabeldemokraten unserer Republik die Parole ausgegeben, Loyalität gehe vor Kompetenz. (Dass man heute keine Koppelschlösser mehr mit der Inschrift „Unsere Ehre heißt Treue“ trägt, sollte man also wirklich nicht überbewerten.)

Spioniert und Denunziert wurde und wird in Deutschland -über alle Staatsformen hinweg- schon immer und immer noch. Allerdings haben die kleinen Vorstandsspitzel der alten Bundesrepublik ihre Denunziation in Ermangelung von Gestapo und Stasi notgedrungen an die Geschäftsführungen ihrer Firmen richten müssen. Jetzt gerieren sie sich auftrumpfend dem Osten gegenüber als die besseren Menschen, nur weil sich partout kein Gauck finden lassen will, der sich auch dieses millionenfachen Drecks erbarmt.

Der immer gleiche Terror in den Lagern der Nazis zielte darauf, mit dem Erfahrungsraum der politischen Gefangenen auch deren Persönlichkeit zu zerstören. Lange vor ’89 einte BRD und DDR die Erkenntnis, dass man dazu nun wirklich keine Lager braucht. Die Stasi betrieb ein eigenes Programm mit dem Ziel der ‚Zersetzung von Persönlichkeiten’, die zwischen inszenierten beruflichen und finanziellen Misserfolgen einfach aufgerieben werden sollten. Bundesbehörden tun da beflissen den gleichen Dienst. Das Bundesverwaltungs-amt verwickelt auf Zuruf durch den Arbeitgeber in Ungnade gefallene Mitarbeiter in endlose juristische Verfahren um ihre berufliche Zukunft. Unliebsame Steuerfahnder werden dagegen gleich mit psychiatrischen Gutachten aus dem Weg geräumt. Und die Pflegerin, die die unmenschlichen Zustände in dem Altersheim, in dem sie arbeitete, publik machte, bekam vor keinem Deutschen Gericht recht, als sie gegen ihre Kündigung klagte. Sie habe damit schließlich die Loyalitätspflichten ihrem Arbeitgeber gegenüber verletzt. Man sieht: die Gesetze verpflichten jeden Deutschen, die Gräuel von Auschwitz zu bekennen, es sei denn, er hat dort gearbeitet.

Um das Fortbestehen faschistischer Strukturen und Mentalitäten zu kaschieren, wird mit der neuesten Variante der Vergangenheitsbewältigung das Dritte Reich zur einmaligen Unvergleichbarkeit stilisiert. Die Fokussierung auf Krieg und Judenmord soll nur den Faschismus verharmlosen, den man längst wieder praktiziert. Wegen der absehbaren Folgen liefert die Gegenaufklärung mit der ‚Erinnerungspolitik‘ nur einen weiteren Versuch, die Erinnerung gegen das Denken auszuspielen: Wenn 1936 ein Parteibonze beim nachmaligen WDR anruft, um einen langjährigen Mitarbeiter mundtot zu machen, dann ist das für die Erinnerung natürlich etwas völlig anderes, als wenn ein Parteibonze 1996 beim vormaligen Reichsender Köln anruft, um einen langjährigen Mitarbeiter mundtot zu machen. Schließlich liegen 60 Jahre dazwischen. Wenn man sich allerdings der Mühe unterzöge, Zusammenhänge zu begreifen, statt in Erinnerungen zu schwelgen, könnte man erkennen: es ist genau dasselbe.

Solange Vergangenheitsbewältigung bei uns ohne jede Trauer im immer gleichen melancholischen Gestus als narzisstischen Kränkung zelebriert wird, solange werden die Hohmanns gekränkt zurückschreien. Und solange werden dieselben Strolche, die in jedem Vergleich des Nationalsozialismus mit anderen Verbrechen eine unerträgliche Relativierung des Nationalsozialismus erblicken, in dem Vergleich eines Bundestagsabgeordneten Hohmann mit dem Massenmörder Goebels nichts Anstößiges entdecken können.

Vergangenheitsbewältigung, die diesen Namen verdiente, hätte sich der Frage zu stellen, wie es einer korrupt unfähigen Führungsschicht vor 1933 gelingen konnte, die Hälfte des brav redlich denkenden Volks der Deutschen in den politischen Wahnsinn zu treiben. Dann bräuchte man sich in absehbarer Zeit auch nicht erneut mit der Frage zu beschäftigen, wie viel Faschismus es schon wieder gab, bevor er denn kam.