Missverständnisse deutsch / deutsch

Privatsache? Alles Privatsache! Und alles nur soziale Konstruktionen? Aber sicher! Die Religion, natürlich, sowieso! Aber dann, doch sicher auch die Nationalität, ich bitte Sie. Und das Geschlecht und das Alter, natürlich!( Nur die Parteizugehörigkeit nicht, klar, wie wird man sonst Intendant.) Aber alles andere? Der Mensch ist eine Nuss und zwar eine hohle, jedenfalls wenn man alles private abzieht: Religion, Geschlecht, Alter, Nationalität, Größe, Stärke, Charakter, Intellekt: dann erst hat man den Kern, den eigentlichen Menschen, sozusagen den gerade noch therapiefähigen Rest. Und um den wird sich dann aber auch gekümmert. Der muss -nach all den privaten Verlusten- schließlich ganz neu befüllt werden. Er wird therapiert, gecoacht, geschult und bemaßnahmt. Ein ganz neuer Typ Mensch entsteht da. Polisch korrekt, kompatibel, mobil, flexibel, tolerant und teamfähig. Eben der Typ, der schon lügen würde, wenn er ich sagt, weil… da nichts ist, nichts, rein gar nichts. Man ist höchstens Teil einer Community, soweit die für nichts steht. Nichts bestimmtes jedenfalls. Soweit sind wir schon lange. Allerdings nur im Westen. Im Osten nicht. Da fürchtet man sich vor zu viel Fremdem, weil man doch noch etwas Eigenes zu haben glaubt. Etwas Eigenes! Eine Identität wahrscheinlich! Die glauben wirklich, sie hätten eine Geschichte, statt unterschiedliche und relativ beliebige Erzählungen. Die glauben, wir sprächen Eine Sprache, statt austauschbarer Signifikantenketten. Die glauben tatsächlich, sie hätten eine Kultur und nicht bloß ein paar willkürlich zusammengewürfelte Konventionen.
(Man will sogar gehört haben, dass man im Osten glaubt, jede Kultur sei eher eine Abgrenzungskultur und keine Willkommenskultur, denn sonst, so die verquere Argumentation, gäbe es ja nur eine einzige Kultur, und die sei dann ja schon keine mehr. Wahnsinn!)

Mein Gott, die haben eben noch viel zu lernen, da im Osten, vermuten jedenfalls die bis zur Selbstlosigkeit entkernten westdeutschen Ganzkörperparodien.